D.O. Pendas: Democracy, Nazi Trials, and Transitional Justice in Germany, 1945–1950

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Title
Democracy, Nazi Trials, and Transitional Justice in Germany, 1945–1950.


Author(s)
Pendas, Devin O.
Published
Extent
VII, 226 S.
Price
£ 75.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Paulina Gulińska-Jurgiel, Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Mit seinem neuen Buch schreibt sich Devin O. Pendas in einen seit mehreren Jahren zu beobachtenden Forschungstrend ein, der im Hinblick auf die justizielle Bestrafung der NS-Täter in der frühen Nachkriegszeit eine Lücke zu schließen versucht. Denn eine solche gab es, trotz zahlreicher eingehender Auseinandersetzungen mit diesem Thema: Wenn sich die älteren Studien auf die direkte Nachkriegszeit konzentrierten, taten sie es meist in Bezug auf den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg (IMT), die dortigen Nachfolgeprozesse (NMT) oder die vergangenheitspolitischen Maßnahmen der Alliierten in Deutschland. Und wenn, was auch durchaus geschah, die Länder der sowjetischen Einflusssphäre berücksichtigt wurden, galt dies eher als Kontrapunkt zum Geschehen im Westen. Erst seit kurzem erscheinen Arbeiten, die eine stärker inkludierende Perspektive aufweisen und die Nachkriegsprozesse vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Kontextes zu interpretieren versuchen.1 Pendas geht einen Schritt weiter und nähert sich den NS-Prozessen im Nachkriegsdeutschland, indem er mehrere Protagonisten und Faktoren berücksichtigt.

Methodologisch ist das Buch klar im ebenso intensiv explorierten Feld von Transitional Justice (TJ) verortet, bietet aber auch hier einen innovativen Ansatz, und dies sowohl in Bezug auf das Untersuchungsobjekt als auch im Verständnis der Methode. Der Autor spricht zwar dem Hauptprozess und den Nachfolgeprozessen von Nürnberg nicht den in der Forschung inzwischen fest etablierten Status als einer Art Wiege von TJ ab, räumt jedoch anderen Prozessen – sei es denen in der SBZ oder jenen vor den deutschen Gerichten – einen vergleichbaren Status ein. Der zweite wichtige Punkt in diesem Zusammenhang ist interpretatorischer Natur. Während in der Forschung immer noch die These von Demokratie als Charaktermerkmal, Ziel und Ausgang von TJ überwiegt, hinterfragt Pendas dies, indem er das Nachkriegsdeutschland als ein offenes Experimentierfeld betrachtet. Das gesamte Land startete – so der Autor – mehr oder weniger an demselben Punkt, und in beiden Teilen Deutschlands wurde TJ praktiziert. Die Ergebnisse waren aber unterschiedlich: Demokratie im Westen und Diktatur im Osten (S. 6). Pendas markiert klar die Grenzen von TJ, indem er ihr die omnipotente Kraft abspricht und den politischen Ausgang in beiden Teilen Deutschlands als eine komplexe, mehrschichtige Konstellation interpretiert (S. 7). Seine These lautet, dass die Ergebnisse von TJ im Nachkriegsdeutschland überwiegend eine Folge von unbeabsichtigten Entwicklungen waren und über unerwartete Kanäle liefen (S. 13).

Was dies konkret bedeutet, zeigt Pendas empirisch in seiner Studie, die in fünf Teile strukturiert ist: 1. „Allied Justice and Its Discontents“, 2. „Allied Policy toward German Courts“, 3. „Debating Crimes Against Humanity in the West“, 4. „Debating Democracy in the East“, 5. „The Trials That Did Not Happen“.

Das erste und das dritte Kapitel gehören in gewisser Weise zusammen, weil sie beide einen klaren Fokus auf die legislative Begriffszuordnung der NS-Verbrechen und die damit zusammenhängenden juristischen Debatten legen. Dazu zählen die Interpretationen von „Aggressive War“, „Crimes Against Humanity“, aber auch – für diesen Zeitraum charakteristisch – die Diskussionen über den (nicht) rückwirkenden Charakter des Rechts.

Pendas argumentiert hier, dass es nicht der Einfluss von Nürnberg gewesen sei, der eine politische Transition gefördert habe, sondern das deutsche Gegenüber, das diese unterstützt habe (S. 24). Das primäre Ziel der Alliierten sei die Förderung des Friedens und nicht die Demokratie gewesen; daher habe nicht die politische Kultur, sondern die internationale Stabilität den ausschlaggebenden Faktor dargestellt (S. 32). Der Autor veranschaulicht auf der Grundlage der von ihm ausgewerteten juristischen Presse der damaligen Zeit, wie die deutsche Öffentlichkeit auf die legislativen Lösungen der Alliierten reagierte. Dadurch zeichnet er ein Bild von einem aktiven Gegenüber, das nicht berichtet, sondern evaluiert und polemisiert, stille Kontrainterpretationen vorschlägt und die Unklarheit des Völkerrechts zugunsten des nationalen Rechts verwendet (S. 39–41). Als wichtiges Element der frühen legislativen Akte wird darauf hingewiesen, dass in der Gesetzgebung und Praxis der Alliierten die Kriegs- und NS-Verbrechen gegen die Angehörigen anderer Nationen, aber kaum jene gegen Deutsche berücksichtigt wurden. Als Ergebnis einer solchen Konstellation sei die deutsche Öffentlichkeit stärker von der Meinung der deutschen Anwälte als von der Sicht der Alliierten geprägt worden (S. 64).

In den weiteren Teilen des Buches fügt Pendas die Rolle der deutschen Gerichte mit Bezug auf die NS-Verbrechen in die Gesamtperspektive ein. Obwohl die Alliierten in den jeweiligen Zonen unterschiedlich vorgingen, herrschte ein genereller Konsens darüber, dass die NS-Verbrechen gegen deutsche Bürger von den deutschen Gerichten behandelt werden sollten. Dies setzten die Besatzungsmächte auf variierenden Wegen um. Im Westen tendierten sie prinzipiell dazu, den deutschen Gerichten mehr und mehr Zuständigkeit einzuräumen. Eine andere Situation herrschte in der SBZ, die sich im Laufe der Zeit stärker politisierte. Unabhängig aber von den politischen Unterschieden des Kalten Krieges, die direkt nach 1945 noch nicht so dominant waren, zeigt Pendas, dass alle vier Besatzungsmächte Deutschland in ein Land zu transformieren versuchten, das ihren Vorstellungen von Ordnung, Frieden und Gerechtigkeit entsprechen würde. Dass dabei ein jeweils unterschiedliches Verständnis von Demokratie herrschte, könne den gemeinsamen Wunsch nach Bestrafung der NS-Täter und die damit verbundene Praxis nicht komplett in Frage stellen (S. 101).

Von diesem Ansatz geht auch das Kapitel 4 aus, das die NS-Prozesse in der SBZ untersucht. Pendas interpretiert sie wiederum klar als einen Transitionsmoment – die Transition führte hier jedoch nicht zur Demokratie, sondern zum Autoritarismus. Diese Tatsache spreche den Prozessen in der SBZ aber nicht den qualitativen Wert ab, und sie bedeute auch keine pauschale Ablehnung der Demokratie im östlichen Nachkriegsdeutschland. Indem er einzelne Schritte rekonstruiert, veranschaulicht Pendas, wie die Stärkung des ostdeutschen/sowjetischen Machtsystems erfolgte, und betont, dass die ostdeutschen Gerichte bis 1950 über eine legale Legitimierung verfügten. In ihrer Funktionsweise und ihren Resultaten seien sie sogar besser gewesen als jene im Westen (S. 164).

Das letzte Kapitel „The Trials That Did Not Happen“ ragt ein wenig aus der Konzeption des Gesamtbuches heraus. Statt legislativ-prozessualer Verfahren rücken nun konkrete, individuelle Akteure ins Licht. Anhand des vom Autor schon früher analysierten Schicksals von Dr. Hans Hannemann, eines tschechischen Juden, der in den letzten Wochen des Krieges nach einem Besuch bei einer Freundin heimlich getötet wurde, zeigt Pendas, wie politische Interessen gegenüber der gerichtlichen Verfolgung der rassistisch begründeten Verbrechen Priorität gewannen und die Justiz der SBZ ineffektiv stellten.2

Devin O. Pendas hat sich mit seinem Buch auf ein Terrain gewagt, das zwar gut eruiert ist, dessen einzelne Felder aber oft getrennt, ohne Bezüge aufeinander betrachtet werden. Durch die Umkehrung der Perspektive und die Einbeziehung von oft nicht berücksichtigten Quellen (juristische Presse Nachkriegsdeutschlands) löst er das Versprechen aus dem Titel seines Buches ein: Es ist eine Studie, welche die historischen Zusammenhänge der Bestrafung der NS-Täter im Kontext der Demokratie beleuchtet – die nicht zwangsweise eine Demokratisierung bedeuten musste. Eine besondere methodologische Leistung des Buches ist die eingehende Auseinandersetzung mit Transitional Justice, die vertraute Interpretationspfade verlässt und neue Zugänge vorschlägt. Das Buch ist eine Pflichtlektüre, sowohl für Forscher:innen im Bereich der Transitional Justice als auch im Bereich der NS-Geschichte.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Enrico Heitzer u.a. (Hrsg.), Im Schatten von Nürnberg. Transnationale Ahndung von NS-Verbrechen, Berlin 2019; Gabriel N. Finder / Alexander V. Prusin, Justice Behind the Iron Curtain. Nazis on Trial in Communist Poland, Toronto 2018 (rezensiert von Annette Weinke, in: H-Soz-Kult, 03.12.2020, https://www.hsozkult.de/review/id/reb-29797, abgerufen am 26.11.2021); oder punktuell: Łukasz Jasiński, Sprawiedliwość i polityka. Działalność Głównej Komisji Badania Zbrodni Niemieckich/Hitlerowskich w Polsce. 1945–1989 [Gerechtigkeit und Politik. Die Tätigkeit der Hauptkommission zur Erforschung der Deutschen/Hitleristischen Verbrechen in Polen. 1945–1989], Gdańsk 2018 (siehe dazu meine Rezension, in: H-Soz-Kult, 01.07.2020, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28775, abgerufen am 26.11.2021).
2 Analyse des Falls Hannemann von Pendas auf Deutsch: Anatomie eines Skandals. Die Ermittlungen im Mordfall Dr. Hans Hannemann im Kontext der deutschen Nachkriegsjustiz, in: Kritische Justiz 46 (2013), S. 245–256, https://doi.org/10.5771/0023-4834-2013-3-245 (26.11.2021).

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